
Warum der Blick nach innen kein Rückzug ist, sondern eine Rückkehr.
Wir suchen so vieles im Außen – Anerkennung, Liebe, Halt. Aber vielleicht beginnt echte Veränderung genau dort, wo wir aufhören zu suchen – und anfangen, uns selbst wirklich zu sehen. Wir leben in einer Welt, in der das Außen dominiert. Alles dreht sich um Bilder, Erwartungen, Meinungen. Wir wachsen damit auf, uns zu orientieren, zu vergleichen, dazuzugehören – aber nicht unbedingt damit, uns selbst wirklich zu begegnen. Was oft fehlt, ist der Blick nach innen. Und doch ist es genau dieser Blick, der uns trägt. Denn wer den Mut hat, nach innen zu schauen, der begegnet dem, was darunter liegt – dem eigenen Selbst. Nicht dem Bild, das wir zeigen, sondern dem Menschen, der wir wirklich sind. In der Therapie wird oft vom „inneren Kind“ gesprochen. In der Religion vom „Seelenkern“. Es geht letztlich immer um denselben Raum: den Ort in uns, an dem wir ehrlich sein dürfen. Ohne Maske, ohne Bewertung. Dort, wo wir mit uns selbst in Kontakt kommen – mit dem, was verletzt ist, aber auch mit dem, was heilt.
Sich selbst anzunehmen bedeutet, genau dort stehen zu bleiben. Sich nicht abzulenken, nicht zu flüchten, nicht ständig weiterzumachen. Sondern innezuhalten und zu erkennen: Das bin ich. Mit allem, was dazugehört. Nur dort entsteht echte Fürsorge. Nur dort beginnt Heilung.
Denn wer gelernt hat, bei sich zu bleiben, muss nicht mehr ständig nach Bestätigung suchen. Er erkennt seinen eigenen Wert – nicht im Vergleich, sondern in der Stille. Wer sich selbst sieht, braucht nicht mehr gesehen zu werden. Papst Johannes Paul II. hat einmal gesagt: "Wer sich selbst sucht, wird Gott finden. Wer Gott sucht, wird sich selbst finden.“ Dieser Satz begleitet mich schon lange, weil er eine tiefe Wahrheit in sich trägt: Es ist derselbe Weg. Der nach innen.
Frei werden heißt, sich vom Gruppenzwang zu lösen. Vom Gefühl, sich anpassen zu müssen, um dazuzugehören. Wer sich selbst annehmen lernt – mit all dem, was er ist – der merkt, dass er nicht untergehen muss, um Teil der Welt zu sein. Auch die Stille gehört dazu. Auch das Alleinsein. Beides ist nicht das Gegenteil von Verbundenheit – sondern oft ihr Anfang. Denn wer mit sich selbst in Kontakt ist, kann andere nicht mehr aus Mangel lieben, sondern aus Fülle. Der Künstler Jonathan Meese hat einmal gesagt: „Man muss sich selbst immer ausdrücken. Immer. Mit Kunst, mit Liebe, mit allem.“ Und genau das ist es.
Sich selbst annehmen. Sich ausdrücken. Bei sich bleiben. Nicht, um perfekt zu sein – sondern um echt zu sein. Da beginnt der Weg. Und da hört er auch nie auf. Vielleicht ist das die leise, aber wichtigste Aufgabe unseres Lebens: nicht jemand anderes zu werden – sondern endlich bei sich selbst anzukommen.
Dario Pizzano
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Den anderen nicht aus Mangel lieben, sondern aus Fülle.
Dieses Zitat trifft den Kern und ist wunderbar.