
„Es gibt einen Riss in allem, und genau dadurch fällt das Licht hinein.“ Dieser Satz von Leonard Cohen bringt auf den Punkt, was Perfektionismus uns so oft verweigert: die Akzeptanz unserer Fehler und Unvollkommenheiten. Viele Menschen verlieren sich im Glauben, perfekt sein zu müssen. Sie wollen keine Angriffsfläche bieten, alles richtig machen, niemanden enttäuschen. Doch wer so lebt, verliert sich selbst. Das Streben nach Fehlerlosigkeit wird zu einer inneren Peitsche, die uns gnadenlos vorantreibt – und dabei Chancen verbaut, die gerade in den Brüchen des Lebens liegen. Das Leben verläuft nicht in geraden Linien. Die schönsten und wertvollsten Erfahrungen machen wir oft dort, wo wir vermeintlich scheitern, abbiegen, stolpern. Umwege erweitern die Ortskenntnis. Doch Perfektionismus lässt uns das nicht sehen. Stattdessen versuchen wir, die Kontrolle zu behalten, alles nach Plan zu gestalten, makellos zu erscheinen. Aber was bleibt dabei auf der Strecke? Unsere Menschlichkeit, unsere Liebe – zu uns selbst und zu anderen.
Wer sich selbst keine Fehler gestattet, ist nicht nur grausam zu sich, sondern auch zu anderen. Perfektionisten verlangen oft von ihrer Umgebung das Gleiche, was sie sich selbst auferlegen: absolute Makellosigkeit. Das schafft eine Atmosphäre von Stress und Anspannung, in der niemand wirklich atmen kann. Die ständige Angst, nicht den hohen Erwartungen zu entsprechen, macht die Zusammenarbeit schwer und raubt die Freude. Perfektionisten vergessen dabei oft, dass sie mit ihrer zwanghaften Kontrolle anderen nicht nur Druck machen, sondern auch deren Kreativität, Freiheit und Eigeninitiative unterdrücken. Diese Haltung trennt statt zu verbinden, sie erstickt anstatt zu nähren. Perfektionismus wird so zu einer Belastung – nicht nur für die Person selbst, sondern für jeden, der mit ihr zu tun hat.
Es braucht eine andere Haltung: Weitherzigkeit. Die Bereitschaft, sich selbst und andere in ihrer Unvollkommenheit zu akzeptieren. Nicht alles muss glänzen. Nicht alles muss herausragend sein. Durchschnittlich sein zu dürfen, ist keine Schwäche, sondern ein Akt der Selbstliebe. Denn ohne Liebe – und dazu gehört die Liebe zu den eigenen Fehlern – lässt sich nicht wirklich leben. Der große Dichter Rainer Maria Rilke hat gesagt: „Ich lerne jeden Tag, die Dinge zu akzeptieren, die ich nicht ändern kann, und sie liebevoll anzusehen.“ Perfektionismus mag uns treiben, aber er bringt uns nicht näher zu uns selbst. Lassen wir die Maske fallen. Akzeptieren wir unsere Risse und Brüche, denn genau dort finden wir die größte Chance: authentisch zu leben. Am Ende ist es die Liebe, die uns trägt – nicht der Perfektionismus. Wer den Mut hat, Fehler zuzulassen, schafft Raum für Wachstum, für Verbindungen, für echte Begegnungen. Der erste Schritt dorthin ist, sich selbst zu sagen: Ich bin genug, genau so wie ich bin. Das Leben ist nicht perfekt, und gerade das macht es so wunderbar.
Dario Pizzano
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Kommentare
Diese Sichtweise finde ich sehr interessant, ich glaube viele Menschen müssen es richtig üben, vor sich selber nicht perfekt sein zu müssen. Die Risse mag man nicht so gerne.